Der Klimawandel, die Bildung und der Influencer

Ein Bildungsblog von Peter J. Brenner

Was ist passiert?

Er hat es wieder getan. Dem großen Erfolg, den Rezo im Mai 2019 mit seiner YouTube-Parteienschelte erzielen konnte, hat er nun als Gast des YouTube-Kanals „Space Frogs“ eine Medienschelte nachfolgen lassen. Die ist nicht einmal unwitzig, und falsch ist sie auch nicht. Allerdings gehört nicht allzu viel satirisches Talent dazu, sich über die Bild-Zeitung – und um die geht es hier vor allem – zu mokieren.

In seinem Video „JETZT REICHTS. Die Zerstörung der CDU“ vom Mai 2019, kurz vor der Europawahl, war es Rezo gelungen, die Politik- und Medienlandschaft in helle Aufregung zu versetzen. Wie einst der legendäre Fußballlehrer des FC Bayern München, Giovanni Trapattoni, stellte der eine Teil der Partei- und Medienöffentlichkeit die empörte Frage: „Was erlauben Rezo?“. Der andere Teil jubelte darüber, dass mit dem Video ein neuer Politikstil gefunden worden sei, der, endlich, „die Jugend“ anspreche. Dass der Politikstil der alten Volksparteien den Nerv der Zeit nicht mehr trifft, scheint jedenfalls ausgemacht zu sein. In der ersten Hälfte seines Zerstörungs-Videos widmet sich Rezo dem Klimawandel, in der zweiten der Legalisierung von Cannabis, „Gras“ – hier scheint persönliche Betroffenheit mitzuschwingen –, und der Unterstützung der amerikanischen Kriegsführung durch die deutsche Bundesregierung.

 „Rezo“ ist ein Avatar. Wenn man den Informationen, die langsam doch durchgesickert sind, trauen will, dann handelt es sich bei Rezo um einen 27-jährigen – vielleicht auch 29-jährigen – Unternehmer namens Yannik Frickenschmidt, der eine Reihe von Mitarbeitern beschäftigt und der sein Geld mit den Werbeeinnahmen verdient, die er mit YouTube-Musikvideos generiert. Dagegen ist nichts einzuwenden. Man muss froh sein über jeden, der sich seinen Lebensunterhat selbst verdient. Für Personen dieser Berufsgruppe hat sich die Bezeichnung „Influencer“ eingebürgert. Gemeint sind damit Menschen, die andere Menschen „beeinflussen“ wollen, in der Regel dazu, einen bestimmten Lebensstil – Lifestyle – zu entwickeln und dafür die passenden Produkte zu kaufen. 

Wie funktioniert Wissenschaft?

Rezo beruft sich in seinem Video durchgehend auf „die Wissenschaft“. Er behauptet, alles sei „wissenschaftlich geprüft“, er habe für seine Recherchen „Hunderte Untersuchungen“ gesichtet und könne „ fucking viel Belege“ für seine Auffassung vom Klimawandel beibringen. Verzückt hat die Rezo-freundliche Medienöffentlichkeit auf die branchenunüblichen Fußnoten verwiesen, die er seinem Videobeitrag angefügt hatte. Tatsächlich handelt es sich hier um ein vogelwildes Sammelsurium von ohne Sinn und Verstand zusammengeklaubten Internetlinks, die wohl mit den „Hunderten Untersuchungen“ gemeint sind. Insgesamt führt Rezo 252 Links an, davon 99 zum Klimathema, überwiegend Zeitungsartikel sowie YouTube- und Wikipedia-Beiträge. 

Trotz dieser mageren Quellenbasis macht Rezo von „der Wissenschaft“ reichlich Gebrauch. Eingangs behauptet er, „zigtausende von deutschen“ – warum eigentlich „deutschen“? Zählen die ausländischen nicht? – „Wissenschaftlern“ seien sich „krass einig“, und er beruft sich auf die „26 000 deutschsprachigen Wissenschaftler“, die eine Erklärung der Scientists for Future unterschrieben haben. 

Das ist beeindruckend. Nur: So funktioniert Wissenschaft nicht. Je mehr Wissenschaftler sich einer wissenschaftlichen Hypothese anschließen, desto verdächtiger wird es, und wenn Wissenschaftler anfangen, zu Zehntausenden regierungsfromme Erklärungen zu unterschreiben, dann wird es gefährlich – nicht für die Wissenschaftler, aber für die Wissenschaft. Als Albert Einstein von dem 1931 in Leipzig erschienenen Büchlein „100 Autoren gegen Einstein“ erfuhr, soll er gesagt haben: „Wäre ich im Unrecht, hätte ein Autor gereicht, um mich zu widerlegen“. 

Rezo ist ein Influencer mit Immatrikulationshintergrund, so heißt es jedenfalls. Wenn es tatsächlich stimmt, dass er vor wenigen Jahren ein Master-Studium der Informatik an einer nordrhein-westfälischen Technischen Universität abgeschlossen hat, dann müsste sich die betreffende Fakultät ernsthaft Gedanken über die Qualität ihres Studienangebots machen. Im aktuellen „Modulhandbuch Masterstudiengänge Informatik und Angewandte Informatik“ dieser Fakultät gibt es ein winziges Segment „Studium fundamentale“. Hier wird ein erfreuliches Lernziel formuliert: „Nach Abschluss des Moduls sind die Studierenden in der Lage, sich über das andere oder das eigene Fach zu verständigen, über unterschiedliche Sichtweisen zu reflektieren und diese zu würdigen.“ So soll es sein, wenn man studiert hat, aber so ist es offensichtlich nicht. Denn mit dem Reflektieren „unterschiedlicher Sichtweisen“ ist es bei Rezo nicht weit her. 

Das Wissen der Wissenschaftler

Dieses Defizit freilich teilt er mit der Klimaforschung selbst, auf die er sich so exzessiv beruft. Denn so weit, wie sie glauben machen will, reicht deren Wissen über den „Klimawandel“ nicht. Seit der Diskussion über das „Mehrkörperproblem“ und den mathematischen Nachweisen Henri Poincarés im späten 19. Jahrhundert ist die prinzipielle Unmöglichkeit bekannt, das Verhalten nicht-linearer chaotischer Systeme zu berechnen und langfristig vorherzusagen. Zuvor hatte schon Du Bois-Reymond in seinem berühmten Vortrag über die „Grenzen des Naturerkennens“ die Einsichten der modernen Wissenschaftstheorie vorweggenommen: „ignoramus et ignorabimus“ – „wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“.

Auch in der Forschung, die sich mit dem nichtlinearen chaotischen System namens „Klima“ befasst, weiß man das alles natürlich, sagt es aber ungern. Und wenn man es sagt, dann versteckt man es, so im „Dritten Sachstandsbericht des IPCC“ („Third Assessment Report”) von 2001 auf S. 774: „In climate research and modelling, we should recognise that we are dealing with a coupled non-linear chaotic system, and therefore that the long-term prediction of future climate states is not possible.“ An diesem Befund können noch so viele Unterschriften von noch so vielen Wissenschaftlern unter noch so viele Erklärungen nichts ändern.

In den späteren Berichten wurde diese – eigentlich selbstverständliche – Aussage in dieser Deutlichkeit nicht wiederholt. Denn wer möchte schon eine Wissenschaft bedingungslos subventionieren, die sagt, dass sie nichts weiß, nichts Gewisses jedenfalls? Auch Wissenschaft geht nach Brot, und dass auch Wissenschaftler anfällig sind für totalitäre Versuchungen, zeigt die Wissenschaftsgeschichte – nicht nur – mit ihrem Paradebeispiel Lyssenko: Dem Agrarwissenschaftler Lyssenko war es gelungen, Stalin einzureden, dass er mit seinen Weizenzüchtungen das Weltproblem des Hungers gelöst habe. Dazu gehörte nicht mehr als die simple Fälschung von Daten und die Unterstützung durch die Politik. Auch Bertolt Brecht ist darauf hereingefallen und hat dieser „Erziehung der Hirse“ seine missliche Stalin-Eloge gewidmet.

Es ist schön, wenn die Politik die Diskussionen und herrschenden Meinungen der Wissenschaft zur Kenntnis nimmt. Es wäre aber fatal, wenn sie die Aussagen der Wissenschaft als „Wahrheit“ begriffe, aus der sich politische Handlungsanweisungen ableiten ließen. Wissenschaftler sollten nie das letzte Wort haben wollen. Wissenschaftler haben immer nur das vorletzte Wort. Denn in der Wissenschaft sind „Fakten“ keine Fakten, sondern Artefakte, hervorgebracht mit bestimmten Methoden, Regeln, Konventionen, die zu bestimmten Ergebnissen führen. In der Wissenschaft gibt es vielleicht herrschende Meinungen, die irgendwann einmal vergessen sein werden; aber es gibt ganz sicher keine Mehrheiten, mit denen darüber entschieden werden könnte, was richtig und was falsch ist. Rezo weiß es besser. Für ihn gibt es nur „eine legitime Einstellung“: die seine, die er „aufrichtig nach Logik, nach wissenschaftlichem Konsens und nach christlichen humanistischen Werten“ postuliert. Mehr geht nicht, aber weniger wäre besser..

Von Rezo lernen 

Rezo Zerstörungsvideo sollte seinen festen Platz im Schulunterricht bekommen. Denn Rezo ist, blaue Haare oder nicht, das Fallbeispiel eines klassischen Demagogen. Darüber sollte der fröhlich-lockere Habitus des Influencers nicht hinwegtäuschen. Zum Rezo-Stil gehört die Verwahrlosung der Sprache und die Verächtlichmachung von Personen; er setzt die Autorität – in diesem Falle die der Wissenschaft – an die Stelle des Diskurses, die Überwältigung an die Stelle des Arguments und alternativloses Halbwissen an die Stelle der abwägenden Urteilskraft. 

In einem Hamburger Nachrichtenmagazin wurde schon eine „Generation YouTube“ als politische Gestaltungsmacht der Zukunft ausgerufen. Der Rezo-Stil ist aber ganz sicher nicht das, man sich für die Zukunft wünschen möchte. Rezo steht für den Autismus, im kommunikativen, nicht im klinischen Sinne, der zu einem Markenzeichen der Klimadiskussion geworden zu sein scheint. 

Aber politische Rede ist kommunikatives Handeln, das auf fachlichem Wissen, rationalem Denken und einem differenzierten Sprachvermögen beruht. Das sind die Grundlagen der demokratischen Bildung. Rezo verkörpert deren Gegenteil.