Greta Thunberg und ihre Follower

Die Greta-Bewegung

„Fridays for Future“ ist eine seltsame Bewegung. Zum ersten Mal in der europäischen Protestgeschichte begehrt eine Generation gegen sich selbst, gegen ihren eigenen Lebensstil auf. Wenn man dem Augenschein trauen darf, sind es aber nicht nur Jugendliche, die auf die Straße gehen, sondern auch ihre Eltern und Großeltern marschieren mit. Wo so viele im Namen Gretas versammelt sind, können die Lehrer der höheren Schulen und die Dozenten der Hochschulen nicht abseits stehen. Und schließlich sind die nominellen Adressaten dieses Protests, die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, mit dabei, wenn gegen sie protestiert wird. Aufgeschreckt sind sie von der Panikattacke, die von einer 16-jährigen schwedischen Schülerin inszeniert und von den Medien viral verbreitet wurde. Das Band, das sie alle zusammenhält, ist der „Klimawandel“ – eine Metapher, in der eine Vielzahl von meteorologischen und sonstigen Phänomenen zusammengefasst wird, deren komplexes Zusammenspiel von der Wissenschaft bislang nur rudimentär beschrieben und verstanden wurde.

Das permanent sich selbst verstärkende und sich steigernde Medienecho verstellt den Blick auf die Wirklichkeit. Es macht aus der Greta-Bewegung einen Scheinriesen. In der klimaprotestrelevanten Alterskohorte der 15- 24-Jährigen gibt es in Deutschland etwa acht Millionen Menschen – Migranten noch nicht mitgerechnet. Ein winziger Bruchteil davon geht freitags auf die Straße, selbst wenn man den Angaben der Veranstalter und der “Tagesschau“ trauen will, waren es Ende September gerade mal gut 200 000 in diversen deutschen Städten, Rentner mitgerechnet. Um auf beeindruckendere Millionen-Zahlen zu kommen, musste man schon die Demonstranten auf der ganzen Welt zusammenzählen. Aber überall auf der Welt wurde nicht demonstriert. Wenn es mit dem Zusammenhang von CO2-Ausstoß und Klimawandel tatsächlich etwas auf sich hat, dann müsste nicht ausgerechnet in Deutschland oder Schweden demonstriert werden. Dann müsste dort demonstriert werden, wo die CO2-Emissionen am höchsten und die Bevölkerungszunahme am explosivsten ist. Aber so intelligent ist die Greta-Bewegung immerhin doch, dass sie ihre Demonstrationen nicht gerade auf dem Roten Platz in Moskau oder auf dem Tian’anmen-Platz in Peking veranstaltet. Da demonstriert es sich im Hambacher Forst sicher gemütlicher.

Der Greta-Kult ist zunächst einmal zu verstehen als Reaktion einer ausgehungerten Gesellschaft, die ihre selbstgeschaffene Leere mit einer übermächtigen Leitfigur wieder füllen will, nachdem sie alle Autoritäten vom Sockel gestürzt, alle Orientierungspunkte beiseite geräumt, alle Unterschiede zwischen den Generationen, zwischen Erwachsenen und denen, die es noch werden sollen, eingeebnet hat. Niemand weiß, wie lange das noch gehen wird, aber jedem politischen Rausch folgt eine Ernüchterung; manchmal dauert es zwölf Jahre, manchmal geht es schneller.

Zur Bildungssoziologie einer Protestbewegung

Die unter der Metapher des „Klimawandels“ zusammengefassten meteorologischen Phänomene verdienen sicherlich eine sorgfältige Erforschung seitens der zuständigen Wissenschaften ebenso wie eine intensive Diskussion der möglichen politischen und gesellschaftlichen Folgewirkungen. Die westliche Welt des Rationalismus ist es sich schuldig, auf globale Herausforderungen mit kühlem Kopf und Besonnenheit zu reagieren. Wenn es irgendetwas gibt, was sie gerade nicht brauchen kann, ist es eine 16-jährige Schülerin mit ihren Followern, die mit infantilen Inszenierungen Panik verbreiten. Aber vielleicht ist es auch kühles Kalkül, dass Greta Thunberg die großen politischen Bühnen dieser Welt zur Verfügung gestellt wurden, auf denen sie ihre Weltuntergangs­phantasien vortragen kann, in denen reale Probleme auf gedankenfreie Formeln zusammengeschrumpft werden.

Dass hier etwas nicht stimmen kann, liegt auf der Hand. Eine solche Selbstinfantilisierung einer ganzen Gesellschaftsschicht ist sicher ebenso beispiellos wie für den Bildungssoziologen von Interesse. Denn diese Vorgänge spielen sich in einer Gesellschaft ab, die einen so hohen Bildungsstand – vom Wohlstand ganz zu schweigen – wie noch nie zuvor in der deutschen Geschichte hat. In der Greta-relevanten Bevölkerungsgruppe der 15-24-jährigen liegt der Anteil der Personen mit Hochschulreife inzwischen bei über 50%, während er bei der Elterngeneration, den jetzt etwa 50-jährigen, noch bei rund 30% und bei den Großeltern unter 20% gelegen hatte.

Aber ganz offensichtlich haben die intellektuellen Zuwächse nicht mit dem Zuwachs der formalen Abschlüsse Schritt gehalten. Es stellt sich die Frage, was diese Klimaaktivisten an ihren höheren Schulen und Hochschulen eigentlich gelernt haben. Denn es sind die Gymnasiasten und Studenten, die den Ton angeben. Eine erste Untersuchung der sozialen Zusammensetzung dieser Protestbewegung in Deutschland durch den „Verein für Protest- und Bewegungsforschung“ hat bestätigt, was man vermuten konnte. Über 90% der demonstrierenden Schüler und Erwachsenen rechnen sich der „Mittelschicht“ zu; 87% der Protestanten haben die Hochschulreife oder ein abgeschlossenes Studium, 0,9% einen Hauptschulabschluss. Auch hier gilt Schelskys in Buchform gefasster Befund: die einen demonstrieren, und die Arbeit tun die anderen.

Eine neue „Generation des Unbedingten“?

Trotz des hohen Ausbildungsstands der Protestanten sind ihre öffentlichen Äußerungen von einem verstörenden intellektuellen Minimalismus geprägt. Dass sie irgendwie gegen den Klimawandel sind und „sofort“ Maßnahmen fordern, kann man den Texten noch ohne weiteres entnehmen. Was man aber unter „Klimawandel“ verstehen soll, auf welche Ursachen er gegebenenfalls zurückzuführen ist und mit welchen sinnvollen und demokratiekompatiblen Maßnahmen ihm im Zweifel zu begegnen ist, bleiben Fragen ohne Antwort. Hier verlässt man sich auf eine einzige Auskunft: „Im Namen der Wissenschaft: Über 27.000 Wissenschaftler*innen allein im deutschsprachigen Raum stehen hinter uns und unterstützen unsere Forderungen“, heißt es auf der Website „Fridays for Future“. Nun ist es bekannt, dass „Wissenschaftler*innen“, zumal solche im „deutschsprachigen Raum“, gerne einmal Erklärungen aller Art unterschreiben. Das war 1914 so und 1933 auch und jetzt wieder. Ein Beweis für irgendetwas ist das nicht, und für die Richtigkeit naturwissenschaftlicher Aussagen schon gar nicht.

In einer zu recht berühmt gewordenen soziologischen Untersuchung hat Helmut Schelsky die deutsche Jugend der ersten Nachkriegszeit als „skeptische Generation“ beschrieben, als eine Generation mit nüchternem Wirklichkeitssinn, ohne jede Anfälligkeit für Ideologien, romantische Illusionen und Gefolgschaftsbedürfnisse. Diese Jugend hatte eine Lektion gelernt, welche die Greta-Generation wieder vergessen hat. In Europa ist politisches Handeln seit der Antike sprachliches Handeln, immer, und in einer Demokratie erst recht. Und so muss es auch bleiben. Aber die Auftritte der Generation Greta sind Manifestationen sprachlicher Ohnmacht. Hier meldet sich eine sprachlos gewordene Generation zu Wort. Es ist sicher kein Zufall, dass eine Autistin zur Ikone der Bewegung gemacht werden konnte. Ihrem Vorbild folgend, sind die Verlautbarungen der Greta-Aktivisten ohne Witz und Esprit, ohne Humor und Ironie oder gar Selbstironie. Stattdessen prägt sie eine dröhnende Selbstgerechtigkeit, die man früher „typisch deutsch“ genannt hätte, während sie heute wohl als Signum der „Weltoffenheit“ gilt.

Das ist nicht der Ton des demokratischen Diskurses; es ist die Tonlage des demagogischen Totalitarismus, der sich nicht durch Sachkunde und Argumente legitimieren muss, weil er die Macht hinter sich weiß. Hier wächst eine neue akademisch gebildete Generation des Unbedingten heran, wie sie ein Historiker einmal in anderen Zusammenhängen beschrieben hat. Es ist eine furchterregende Perspektive, diese sprachlos gewordene Greta-Generation, die keine Zwischentöne kennt, keine Skepsis und kein Abwägen, einmal in Schlüsselpositionen der Gesellschaft einrücken zu sehen.

Politik und Sprache

Der Philosoph weiß, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen der Welt bedeuten. Die sprachliche Welt, in der sich die Öko-Aktivisten bewegen, ist eine sehr enge Welt, die eine Grenzöffnung gut vertragen würde. Das wäre doch die erste Aufgabe zumindest der höheren Schulbildung: den Schülern die Fähigkeit mitzugeben, die richtigen Wörter zu finden, einen Sachverhalt klar auszudrücken, einen Gedankengang zu entwickeln, mit Namen, Daten, Zahlen, Fakten argumentierend umzugehen, die angemessene Stilebene zu erkennen. Dazu gehört eine intellektuelle Disziplin, die zu vermitteln die Schule längst aufgegeben hat. Mehr und mehr gibt man sich mit minimalistischen Varianten des Deutschlernens zufrieden, die am Ende in einem „sprachsensiblen Unterricht“ münden, dem es ausreicht, sich irgendwie verständlich gemacht zu haben, oder gar in „leichter Sprache“, die alles aus der Sprache tilgt, was Sprache ausmacht.

So wird es aber gewiss nicht gelingen, den Schülern, denen ihre eigene kleine Waren‑ und Erlebniswelt, ihre WhatsApp-Gruppen und ihre Gesinnungsblasen, zum Maß ihrer Lebenswelt geworden sind, zurückzuführen zu einem souveränen und disziplinierten Umgang mit der Sprache. Denn Hannah Arendts Diktum, dass Menschen nur deshalb zur Politik begabte Wesen sind, weil sie zur Sprache begabte Wesen sind, gilt auch umgekehrt: Nur wer die Möglichkeiten der Sprache kennt und ausschöpft, ist zur Politik begabt und verdient Gehör zu finden. Davon ist die Greta-Generation noch weit entfernt.