Bertram Triebel: Die Partei und die Hochschule. Eine Geschichte der SED an der Bergakademie Freiberg. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015.

Während die deutschen Hochschulen vor den Augen der Öffentlichkeit unablässig Exzellenz produzieren, hat sich im Verborgenen ein dramatischer Strukturwandel vollzogen. Diese Entwicklung wurde von kritischen Beobachtern als „Sowjetisierung“ beschrieben, zuvor schon sprach man von einer der sowjetischen Planwirtschaft entliehenen „Tonnenideologie“, die sich an den Universitäten etabliert habe. Das sind gewiss polemische Metaphern, aber möglicherweise haftet ihnen doch ein Körnchen Wahrheit an. 

Walter Rüegg hat in seiner großen Geschichte der europäischen Universität die „Sowjetisierung“ der Hochschulen im kommunistischen Machtbereich als „Kommandowirtschaft“ beschrieben. Universitäre Wissenschaft wurde als wirtschaftliche „Produktivkraft“ begriffen und gleichzeitig als Instrument der Gesellschaftsveränderung. Die Universitäten wurden einer externen Planungs- und Kontrollhoheit unterworfen, akademische Forschung und Lehre wurden ideologisiert, politisiert und uniformiert. Die Unterwerfung der Hochschulen unter die Zwecke der sozialistischen Planwirtschaft hatte wiederum eine kleinteilige Spezialisierung zur Folge. So auch in der DDR: Um 1980 gab es 53 Hochschuleinrichtungen, darunter sieben Universitäten und acht Technische Hochschulen. Eine davon war die Bergakademie Freiberg, die sich als weltweit führende Institution der Montanwissenschaft schon früh, praktisch seit ihrer Gründung 1765, Ansehen erworben hatte. 

Mit seiner Dissertation über die Rolle der SED an dieser Bergakademie hat Bertram Triebel die Mechanismen offengelegt, mit denen die Partei der Arbeiterklasse sich die Macht an der Hochschule angeeignet und sie ausgeübt hat. Seine Untersuchung des Freiberger Mikrokosmos ergibt, bei aller lokalen Begrenztheit, einen Einblick in das Funktionieren von Wissenschaft in der Diktatur. Die Lage der Bergakademie im heute ominös gewordenen Sachsen, 40 km südwestlich von Dresden, brachte sie nach 1945 in den Einflussbereich der Sowjetunion, die eine radikale Umgestaltung des ostdeutschen Bildungswesens exekutierte. Im ideologischen Kern ging es um eine Entmachtung der traditionellen bürgerlichen Bildungseliten und ihre Ersetzung durch die bildungsferne Schicht der Arbeiter- und Bauernmacht. 

Die erste Phase der SED-Machtübernahme an der Bergakademie verlief schwierig. Der Partei fehlte es an organisatorisch geschultem Personal, das sich gegenüber dem eingespielten Wissenschaftsapparat zu behaupten gewusst hätte. In der politischen Führung der SBZ und DDR wusste man sehr gut, dass die akademische Technik-Ausbildung, und hier speziell die Montanwissenschaft, eine entscheidende Rolle für die Energieversorgung und damit für die Gesamtwirtschaft des jungen sozialistischen Musterstaates spielen werde. Das setzt der personellen Säuberung Grenzen. Entscheidend war aber etwas anderes: Bis 1961 hatten qualifizierte Wissenschaftler die Option, in den Westen zu gehen.

Mit dem Mauerbau hatte sich das erledigt und für die SED begann die zweite Phase der Machtergreifung. Die traditionellen Formen der akademischen Selbstverwaltung wurden ausgehöhlt; der Senat als Organ der akademischen Selbstverwaltung entmachtet, an seine Stelle trat 1962 eine „Hochschulleitung“ als neues Führungsgremium. Die Fakultäten wurden aufgelöst und durch „Sektionen“ ersetzt, die stärker an Ausbildungsberufen orientiert und deren Verwaltung einem stärkeren Parteieinfluss unterworfen waren. Die in den Jahren um 1970 in der DDR durchgeführte „Dritte sozialistische Hochschulreform“ machte dann vor, was der Bolognaprozess zwanzig Jahre später europaweit zu Ende führte: Studiengänge wurden „gestrafft“ und verkürzt, die Pflichtstundenzahl stark erhöht und die Berufsorientierung verstärkt. „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“, hieß es in der DDR. Genutzt hat es bekanntlich nichts, wenigstens das könnte man heute daraus lernen. 

Mitte der 1960er Jahre setzte an der Bergakademie eine „Politisierung des Hochschullehrerberufs“ (64) ebenso wie des Studiums ein. In den 1980er Jahren gehörten fast 90% der Bergakademie-Professoren der SED an. Das setzte die „Arbeiter- und Bauernpartei“ einigermaßen in Verlegenheit, sodass sie einen Aufnahmestopp für Akademiker verhängte und sich ziemlich erfolglos um das nichtwissenschaftliche Personal bemühte. (137) Von einer allumfassenden Unterdrückung lässt sich nach den Befunden Triebels allerdings gewiss nicht sprechen. Das System ließ den Professoren, mit oder ohne Parteibuch, auch „Handlungsspielräume“. (132) So erwies sich Theodor Haase, Professor für Keramik, als besonders renitent. (57) Allgemein, das klingt vertraut, wurde von den Hochschullehrern die „Bürokratie im Hochschulwesen als belastend“ empfunden, weil sie dazu zwang, Berichte zu schreiben, Versammlungen zu besuchen, Ämter wahrzunehmen statt zu lehren und zu forschen. (200) Und auch an der Bergakademie gehörte der Kampf mit der Plan- und Mangelwirtschaft des real existierenden Sozialismus zum professoralen Alltag – „Personal, Geräte, und Material“ fehlten allenthalben. (142)

Der Politisierung der Studenten dienten, wie überall an den DDR-Hochschulen, ein obligatorisches „gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium“ und der Russischunterricht. Hinzu kamen politische Schulungsverpflichtungen und der Nachweis „gesellschaftlicher Aktivität“ durch Parteiarbeit. (171) Agitation und Propaganda, immaterielle Anreize und Zwänge verstärkten den Druck ebenso wie die unablässige Beschallung mit Parolen – zwar noch nicht „Gegen Rassismus“, aber doch „Für den Frieden“. (144) Zum System gehörte auch die „Ausgrenzung“ von Dissidenten und deren Angehörigen, sie wurden an den „Rand der Gesellschaft“ gedrängt (188) und mussten mit Nachteilen in Studium und Beruf rechnen. Die meisten Hochschulangehörigen, Professoren wie Studenten, lernten ihre Lektion schnell: „Sie wussten, was sie tun konnten und was sie besser unterließen, wo sie etwas sagten und wann sie besser schwiegen.“ (191) Das ist, damals wie heute, sicher nicht das Unwichtigste, was man an einer Hochschule lernen kann.

Auf der anderen Seite stand die politische Lenkung der „Produktivkraft Wissenschaft“. Ende der 1980er Jahre wurde die Hochschule darauf verpflichtet, Lehre und Forschung auf die Förderung des „Hauptenergieträgers Braunkohle“ zu konzentrieren. (151) So ändern sich die Zeiten und bleiben sich doch gleich: Was den einen einst die Braunkohle war, sind den anderen heute die „Erneuerbaren Energien“. 

Als sich in den 1980er Jahren die ersten Proteste gegen die SED-Führung anbahnten, war die Bergakademie von Anfang an dabei. Die Studenten bekundeten Sympathien für das „Neue Forum“ und im November 1989 versammelten sich in der kleinen sächsischen Stadt Freiberg 8 000 Demonstranten zum Protest gegen die SED. (223)

Triebels Buch wird nicht die Resonanz finden, die es verdient. Aber sein vermeintliches Nischenthema berührt ein für erledigt gehaltenes, in jüngerer Zeit indes wieder virulent werdendes Problem einer politischen Kommandowirtschaft, die heute unter dem verführerischen Namen der „Hochschulgovernance“ ein modernes Gesicht erhalten hat.