Michael Butter: Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp 2018 (auch Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2018).

 

Betreutes Forschen

Mit der Corona-Krise 2020 avancierte die „Verschwörungstheorie“ zu einem Schlüsselbegriff der politischen Auseinandersetzung. Dass es so kommen würde, konnte der Tübinger Amerikanistik-Professor Michael Butter nicht ahnen, als er 2018 sein Buch veröffentlichte. Es ist ein Seitentrieb eines großdimensionierten EU-geförderten Projektes, zu dessen Leitern Butter gehört. Man darf also annehmen, dass er weiß, worüber er schreibt, wenn er den offensichtlich uferlosen Stoff in die handliche Form einer locker gedruckten „Monografie“ (258) fasst.

Am Ende des Buches verweist der Autor darauf, dass die „Agentur Graf & Graf“ das Projekt „angestoßen“ und die „Entstehung des Buchs vom Exposé bis zur Fertigstellung des Manuskripts wunderbar begleitet“ hat (258) – so wie Professoren früher, das ist aber lange her, die Magisterarbeiten ihrer Studenten „wunderbar begleitet“ haben. Die Agentur selbst glaubt von sich sagen zu dürfen:

„Wir vertreten Bücher, die ihre Leser klüger machen, unterhalten und deren Relevanz sie ins Gespräch und auf die Bestseller-Listen bringt. […] Dabei stehen wir für eine inhaltlich intensive Begleitung unserer Autor*innen in allen Phasen ihres Buchprojekts.“

Betreutes Forschen also – es ist weit gekommen mit den deutschen Universitäten und ihren Professoren.

 

Theorie und Praxis der „Verschwörungstheorie“

Butter tut sich recht schwer damit, seinen Gegenstand zu begrenzen und zu bestimmen. Noch schwerer tut er sich mit der Herausforderung, die Analyse dieses Phänomenbündels namens „Verschwörungstheorien“ auf eine solide theoretische Grundlage zu stellen. Im Großen und Ganzen ist Butters Theoriebedarf – nicht aber der seiner Leser – gedeckt mit einem Verweis auf Karl R. Poppers bis heute gern zitiertes, aber einer kritischen Betrachtung längst nicht mehr standhaltendes Buch über die „Open society and its enemies“ von 1945. In dessen zweiten Band wird der Begriff der „Verschwörungstheorie“ im aktuellen Sinne wohl erstmals verwendet, wie Butter nicht müde wird zu wiederholen. (41f.; 142f.; 154)

Dass Butters Begriff der „Verschwörungstheorie“ theoretisch unausgewiesen ist, rächt sich auf Schritt und Tritt. Eine ganze Anzahl der von ihm angeführten Fallbeispiele betrifft simple Unwahrheiten, wie sie im US-Wahlkampf – natürlich nur von Trump und seinen Anhängern – verbreitet wurden; gleich viermal verweist Butter auf die im Wahlkampf kursierende Behauptung, Obama sei nicht in Amerika geboren. (11, 170, 198, 200) Verschwörungstheorien sind das gewiss nicht – denn wo sind die „Verschwörer“? –, im Fall Obamas verwendet Butter alternativ auch den Begriff „Verschwörungsgerücht“, was die Sache nicht besser macht.

Eine klare Einsicht erzielt der Forscher immerhin doch: „Verschwörungstheorie ist offensichtlich nicht gleich Verschwörungstheorie“. (29) Eine bemerkenswerte logische Volte gelingt sodann mit der Feststellung, dass sich „noch nie eine Verschwörungstheorie im Nachhinein als wahr herausgestellt“ habe. (37) Das ist nun nicht besonders überraschend, wenn man zehn Zeilen vorher als „Charakteristikum von Verschwörungstheorien“ definitorisch festlegt, „dass diese falsch sind“ und sieben Seiten später noch einmal versichert wird, dass es „tatsächlich ein Charakteristikum von Verschwörungstheorien ist, dass sie nicht stimmen.“ Und wer es immer noch nicht verstanden hat, dem wird sechs Zeilen später erneut erklärt, dass der Begriff „immer auch bereits“ impliziert, „dass die so bezeichnete Sicht falsch ist“. (44) Hier fragt man sich langsam, mit welchen Lesern diese „Monografie“ eigentlich rechnet und ob der Verlag keine Lektoren mehr hat.

 

Verschwörungstheorien in Deutschland

Insgesamt ist Butter Focus sehr eng. Er verweist gleich eingangs darauf, dass er nun einmal ein „deutscher Amerikanist“ (18) sei und deshalb seine Beispiele aus dem amerikanischen und deutschen Raum beziehe. Das ist in der Tat so. Aber auch zu Deutschland fällt ihm nicht viel ein. Hier ist seine Hauptreferenz- und Reizfigur die unselige und längst vergessene ehemalige Tagesschausprecherin und NDR-Moderatorin Eva Herman, die sich in den Jahren nach ihrer Entlassung aus dem Dienst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wegen Rechtsabweichung in Skurrilitäten verrannt hat. Sie hatte ihren letzten großen Auftritt – und Abgang – 2007 in der Talkshow Johannes B. Kerners.

Überhaupt fällt es Butter schwer, den „Verschwörungstheorien“ in Deutschland ihren Platz zuzuweisen. Selbstverständlich gibt es die üblichen Verdächtigen; in erster Linie weiße Männer um die 47 Jahre mit Existenzängsten, (123; 176) die bei Pegida mitmarschieren, wozu allerdings die Kronzeugin Eva Herman nicht recht passen will. Von da ist es nicht weit bis zur nächsten Einsicht: Unter den „Anhängern und Abgeordneten“ der AfD seien „Verschwörungstheorien deutlich verbreiteter als bei allen anderen Parteien“. (195) Dazu gibt es auch eine Fußnote: Eine Analyse ausgerechnet der „Süddeutschen Zeitung“ habe gezeigt, dass die Facebookseiten der großen deutschen Parteien keine konspirationsaffinen Filterblasen und Echokammern seien. Das sehe man daran, dass sie sich überwiegend auf „Spiegel online“ oder „die großen Fernsehsender“ und überhaupt die „etablierten Nachrichtenquellen“ – zu denen die untersuchende „Süddeutsche Zeitung“ zufällig auch gehört – beziehen. (195) Bei der „Alternative für Deutschland“ aber, so erläutert Butter, sei das ganz anders. Man kann vermuten, dass das richtig ist, aber davon steht kein Wort in dem SZ-Artikel. Auch „Verschwörungs­theorien“ kommen in dem Artikel weder dem Wortlaut noch der Sache nach vor, weder in Bezug auf die AfD noch auf deren Anhänger noch auf deren Abgeordnete noch auf sonst jemanden. Das sind freie Erfindungen des Autors und Wissenschaftlers Michael Butter.

„Wer lügen will, lüge von fern her“, hieß der gute Ratschlag an Autoren frühneuzeitlicher Reiseberichte. Daran sollten sich auch moderne Wissenschaftler halten: Wenn sie schon Behauptungen frei erfinden, sollten sie nicht mit einem Mausklick nachprüfbar und widerlegbar sein Aber egal: Wenn die AfD-Leute unter sich sind „blühen die Verschwörungstheorien“, weiß – oder vermutet oder glaubt oder unterstellt? – der Wissenschaftler Butter. (195)

Von zentraler Bedeutung für das Thema ist selbstverständlich die Frage, welche Reichweite Verschwörungstheorien überhaupt haben. Das weiß Butter auch nicht, aber er verweist auf die „einzige größere Studie zu Deutschland“. Sie zeige, dass hier Verschwörungstheorien weniger verbreitet seien als in den USA. (254) Auch das will man gerne glauben, hätte aber gerne gewusst, um welche Studie es sich handelt. Der Fußnotenverweis ist kryptisch – ein ungedruckter Tübinger Vortrag von 2017 –, aber weitere Recherchen führen zur Quelle, auf die sich Butter offensichtlich stützt. Die „Studie“ ist eine Powerpoint-Präsentation mit 12 Folien, deren Daten auf einer simplen telefonischen Meinungsumfrage im Auftrag eines Mainzer Professors und vormaligen SZ-Journalisten beruhen. Warum die Fragestellungen auf Englisch mitgeteilt – aber doch wohl den Befragten nicht so vorgelegt? – wurden, wäre übrigens erklärungsbedürftig. Der Ex-Journalist arbeitet mit einem ziemlich freihändigen Begriff von „Verschwörungstheorie“: Zum Verschwörungstheoretiker avanciert jemand schon, wenn er den Medien misstraut – dafür findet er den hübschen Begriff „Media cynicism“.

Wenn man jedes Misstrauen gegenüber der Medienberichterstattung – das eigentlich jeder Zeitungsleser und jeder Claus-Kleber-und-Marietta-Slomka-Zuschauer haben sollte – schon als „Verschwörungstheorie“ betrachtet, dann kann man die Zahl der „Verschwörungstheoretiker“ in Deutschland schon in die bedenkliche Höhe von 37% treiben. Dabei ist doch das eigentlich Bedenkliche, dass die Zahl der kritischen Medienkonsumenten so niedrig ist, trotz unablässiger Medienpädagogik in den Schulen von Kindesbeinen an.

Zum Schluss seines Buches relativiert Butter einiges von dem, was er zuvor ausgebreitet hat. Ganz so schlimm sei es mit dem „Verschwörungstheorien“ in den modernen westlichen Gesellschaften doch nicht. Gewiss reizten sie manchmal zu Gewaltdelikten bis hin zu Mord und Amoklauf, aber das seien extreme Ausnahmen. Bedenklicher seien die gesellschaftsspaltenden Folgen solcher Theorien, vor allem dann, wenn sie sich gegen Minderheiten wie Geflüchtete richteten. So seien im Jahre 2016 über „3500 Angriffe auf Geflüchtete“ erfasst worden. Es sei zwar unmöglich festzustellen, ob dabei „Verschwörungstheorien eine Rolle spielten“, (225) aber trotzdem, man weiß ja nie und außerdem hängt ja doch alles, was rechts ist, irgendwie zusammen.

Man weiß es in der Tat nicht, und deshalb gehört dieser Hinweis eigentlich auch nicht in ein Buch über Verschwörungstheorien, zumal er wiederum falsch ist. Wenn es täglich rund zehn Angriffe auf Geflüchtete gäbe, stünde Deutschland am Rande eines Bürgerkrieges. So ist es aber nicht. Butter gibt lediglich die Schlagzeile eines prominenten Online-Mediums ungeprüft wieder, das am 26. Februar 2017 – natürlich nicht 2016, wie Butter schreibt, auch „Der Spiegel“ hat keine prophetischen Gaben – über die Antwort des Bundesinnenministers auf eine kleine parlamentarische Anfrage von „Linken“-Abgeordneten berichtet. In dieser ursprünglichen Quelle – sie ist, wie alle Bundestagsdrucksachen, leicht einsehbar – ist nicht von „Angriffen“ sondern von „Delikten“ die Rede, die alle einzelnen aufgezählt werden. Allein 465 der „3500 Angriffe“ betreffen die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen. Die tatsächlich vorgekommenen Gewalttaten gegen Personen und Sachen sind schlimm genug, aber sie machen lediglich einen Bruchteil der Gesamtzahl der Delikte aus. Bei emotional aufgeladenen Problemfeldern sind Politik, Medien und, wie man sieht, auch Wissenschaftler offensichtlich gerne und aus durchsichtigen Gründen zu semantischen Vergröberungen bereit. Aber wer so unsauber mit Zahlen, Fakten und Begriffen hantiert, der verfälscht die Wirklichkeit, schürt den „Media cynism“ und gibt Verschwörungs­theorien neue Nahrung.

Das Buch wirft viele interessante Fragen auf und lässt sie unbeantwortet. Der historische Statuswandel der Verschwörungstheorien von „legitimem“ zu „illegitimem Wissen“ wäre eine genauere Betrachtung wert, und zu Recht weist Butter darauf hin, dass die „Enthierarchisierung von Wissen durch das Internet“ eine zentrale Rolle bei der Entwicklung moderner Verschwörungstheorien spielt. (64) Entscheidend ist diese Rolle der Medien und des digitalen Medienwandels für die Struktur, die Entwicklung und die Verbreitung von Verschwörungstheorien in der Tat. Hierüber erfährt man immerhin, dass die „Sache komplizierter“ ist, „als sie zunächst aussieht.“ (180) Das alles wird erwähnt, aber einen überzeugenden Zugriff auf die theoretischen und historischen Problemlagen findet Butter nicht.

Selbst den Minimalanspruch, den man an ein solches Buch doch sollte stellen dürfen, bleibt unbefriedigt: eine Typologie der verschiedenen Arten von Verschwörungstheorien, die sich hinter Butters kunterbuntem – und hoch redundantem – Durcheinander von Einzelfallbeispielen vage abzeichnet. Offensichtlich gibt es Verschwörungstheorien esoterischer Art und solche mit genuin politischen Zielsetzungen, es gibt solche, an die die Verschwörer selbst glauben und solche, die nur als taktisches oder kommerzielles Mittel eingesetzt werden; Verschwörungstheorien können sich mit Ideologien und Religionen überschneiden, sie können uralte antisemitische Traditionen fortführen oder von einer „Neuen Weltordnung“ phantasieren; sie können sich auf einzelne Personen, wie neuerdings Bill Gates, beziehen oder auf anonyme Mächte. Zu diesen Differenzierungen findet sich bei Butter wenig. Über die Unterscheidung zwischen Verschwörungstheorien und Verschwörungsgerüchten und Verschwörungstheorien „von oben“ und solchen „von unten“ kommt er nicht hinaus.

 

Geschichte, Gesellschaftstheorie und Anthropologie von Verschwörungstheorien

Auch Butters kurzer und ziemlich irrlichternder Streifzug durch die Geschichte ergibt kein klares Bild. Dafür sind die Beobachtungen zu willkürlich ausgewählt und zu wenig ausgewertet, eher Zufallsfunde als paradigmatische Phänomene. Von einer souveränen Beherrschung des Stoffs zeugt dieser Überblick jedenfalls nicht,

Die niederträchtigste antisemitische Verschwörungstheorie wird etwas ausführlicher behandelt: die um 1900 aus unbekannter Quelle in die Welt gesetzte Fälschung „Protokolle der Weisen von Zion“, die eine jüdische Weltverschwörung unterstellten, findet in westlichen Gesellschaften sicherlich nur noch in exklusiv antisemitischen Zirkeln einigen Anklang. In der arabischen Welt allerdings, Butter verweist darauf, (167) sind sie weit verbreitet und erfreuen sich großer Anhängerschaft.

Aber ansonsten bleibt der Blick in die Geschichte wenig ergiebig. Was soll man von einem historischen Rückblick auf Verschwörungstheorien halten, der gleich zweimal – auch hier wäre der Lektor gefordert gewesen – auf „Abraham Lincolns berühmte Rede ‚A House Divided‘“ von 1858 eingeht (69-71; 232f.), aber den Namen Stalins, des mörderischsten aller Verschwörungstheoretiker, gar nicht erst erwähnt? Stalin war ein monströser Paranoiker, der seine gewalttätige Herrschaft auf immer wieder erneuerten, oft antisemitisch gefärbten Verschwörungstheorien aufbaute. Die Folge waren der millionenfache Mord durch Säuberungswellen, Schauprozesse, Deportationen, Zwangsarbeit und allem voran den Hungerkrieg gegen die ukrainischen und kasachischen Kulaken 1929 bis 1933, denen „konterrevolutionäre Aktivitäten“ gegen den sozialistischen Staat vorgeworfen wurde.

Das muss man auch als „deutscher Amerikanist“ wissen. Wenn man es unerwähnt lässt, muss man sich die Frage gefallen lassen, ob mit diesem Verschweigen nicht unangenehme Traditionslinien verdeckt werden sollen, die bis in die aktuellen antifaschistischen Diskurszusammenhänge der Bundesrepublik hineinreichen.

„Das vielleicht stärkste Argument gegen Verschwörungstheorien ist aber, dass diesen ein in den modernen Sozialwissenschaften mittlerweile radikal infrage gestelltes Menschen- und Geschichtsbild zugrunde liegt.“ (40) Das will man nun doch etwas genauer wissen: Wer in den „modernen Sozialwissenschaften“ hat welches Menschenbild in Frage gestellt?

Butter erklärt das so: Verschwörungstheorien begreifen „Menschen als selbstbestimmte Individuen und nicht als Subjekte im Sinne der modernen Sozial‑ und Kulturwissenschaften, welche die materiellen und ideologischen Zwänge betonen, denen Menschen ‚unterworfen‘ sind und die ihre Subjektivität erst produzieren.“ (108) Man darf rätseln, was und wen er hier meint. Er verweist an einer Stelle auf Freud (41) – ein moderner Sozialwissenschaftler? Foucault würde am ehesten noch passen, aber er wird nur in einem anderen Zusammenhang flüchtig erwähnt.

Ganz offensichtlich hat der Tübinger Professor einige tausend Seiten Lektürerück­stand, sonst käme es ihm nicht so einfach in den Sinn, von einem Menschen‑ und Geschichtsbild der „modernen Sozial‑ und Kulturwissenschaften“ zu sprechen. Als einzige Referenz benennt er Popper. Aber vielleicht hätte Butter die restlichen rund 1100 Seiten des Doppelbandes auch noch lesen – oder in der Wikipedia nachschauen – sollen, um zu merken, dass Popper ein schlechter Gewährsmann für sein deterministisches Menschen‑ und Gesellschaftsbild ist. Selbstverständlich hat Popper keineswegs behauptet, Menschen seien ohnmächtige Gefangene ihrer Traditionen und Institutionen. Ein solcher anthropologischer Pessimismus stünde dem Fundamentalkritiker des geschichtsphilosophischen Determinismus und dem Propagandisten der „offenen Gesellschaft“ und des „piecemeal engineering“ auch schlecht zu Gesicht.

Aber kurz und knapp: „Verschwörungs­theoretiker“ wollen partout nicht einsehen, dass Globalisierung und Internet es schwierig gemacht haben, „viele Prozesse überhaupt noch zu beeinflussen“ , und sie sehen es nicht ein, weil sie, anders als der Professor aus Tübingen, „wissenschaftlich nicht mehr auf der Höhe ihrer Zeit“ sind. (108) Mit ihrem „Beharren auf Intentionalismus und menschlicher Handlungsfähigkeit“ vertreten Verschwörungstheorien ein „antiquiertes Menschenbild“ (121) und auch „die Leute“ hängen einem „altmodischen Verständnis von menschlicher Handlungsfähigkeit und gesellschaftlichen Prozessen“ an (229) – eigentlich alle, außer dem Tübinger Professor. Seltsam, dass solche Auffassungen auch von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ verbreitet werden.

Es sind reichlich vollmundige Sprüche, über deren Tragweite Butter sich offensichtlich nicht klar ist. Denn danach wäre jeder Lokalpolitiker, der an Entscheidungen über Gewerbegebiete mitwirkt, jede Demonstrantin, die gegen den menschengemachten Klimawandel auf die Straße geht, jeder Richter, der die Entscheidungsfreiheit und damit Schuldfähigkeit eines Angeklagten voraussetzen muss, jeder Pädagoge, der seine Schüler, wie es landauf, landab in den Lehrplänen vorgeschrieben ist, zu mündigen und verantwortlichen Menschen erziehen will, ein potentieller Verschwörungstheoretiker – sie alle hängen dem „antiquierten Menschenbild“ der Aufklärung an, dass man mit menschlichen Handeln die Wirklichkeit beeinflussen kann und dass man für seine Handlungen und deren Folgen verantwortlich ist.

Einen guten Rat gibt Butter in seinem Schlusssatz, in dem er die „demokratischen Gesellschaften“ auffordert, sich darauf zu verständigen, „was wahr ist“, um die „drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts“ meistern zu können. (233) Ob er weiß, was er da sagt? Eine der großen Errungenschaften der neuzeitlich-westlichen Staatsbildung war gerade die Befriedung der Gesellschaft durch den Verzicht auf die Frage „was wahr ist“, denn diese Frage ist die erste Quelle des Bürgerkrieges. Und der Stalinismus hat gezeigt,  was herauskommt, wenn eine moderne Gesellschaft Butters Rat folgt.

Butter bescheinigt den Verschwörungstheoretikern, das ist die Quintessenz seiner Überlegungen, sie hätten eine falsche Vorstellung davon, „wie Menschen ticken und Gesellschaften funktionieren“. (121) Aber immerhin vermittelt das Buch eine Ahnung davon, wie Professoren ticken und wie Wissenschaft heute funktioniert.