Der Glücksbringer. Vom Wandel eines Berufsstandes
Unter den traditionsreichen deutschen Handwerksberufen nehmen die Schornsteinfeger eine besondere Rolle ein. Immerhin haben sie es bis ins „Handwörterbuch des deutschen Aberglauens“ geschafft: Der Schornsteinfeger gilt als Glücksbringer. Das hat schon seinen Grund. Denn unter den Handwerkern haben Schornsteinfeger einen Sonderstatus, dessen Ursprünge weit in die deutsche Geschichte zurückreichen. Schornsteinfeger sind eben nicht nur Handwerker, sondern sie erfüllen mit ihrer Überwachung von Feuerstellen und Heizungsanlagen eine substanzielle Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Bis heute nehmen sie eine etwas unklare Zwischenstellung zwischen einem privaten Gewerbebetrieb und einem Träger hoheitlicher Aufgaben ein. Nach wie vor haben sie die Befugnis zum Betreten privater Wohnungen auch gegen den Willen der Besitzer zur Kehrung oder Überprüfung gemäß § 1 Absatz 3 des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes: „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt“, heißt es schnörkellos. Das ist eine zwar sehr weitreichende, aber angesichts der unabweisbaren Notwendigkeit akuter Gefahrenabwehr immerhin vertretbare Regelung.
Nachdem die deutschen Bundesregierung zu dem Schluss gekommen ist, dass das Klima vor den Menschen geschützt werden müsse – früher war es bekanntlich umgekehrt –, bekommen auch die Schornsteinfeger eine neue Aufgabe: Denn auf dem Weg in den Klimastaat spielt, ganz ähnlich wie beim Corona-Regime, die Kontrolle alltäglicher Lebensgewohnheiten der Bürger eine zentrale Rolle. Es muss nicht nur geprüft werden, ob die technischen Anlagen sicher sind; sondern längst wird auch die Einhaltung von emissionsrechtlichen Vorschriften und die Effizienz von Heizungsanlagen kontrolliert. Mit dem von der Bundesregierung kürzlich vorgestellten Entwurf eines „Gebäudeenergiegesetzes“ bekommen diese Kontrollpflichten eine neue Dimension. Die Schornsteinfeger werden zur Hilfsorganen des Klimastaates aufgewertet, deren Aufgaben weit über die Gefahrenabwehr hinausgehen. Nicht nur sollen sie das Alter der Heizungsanlagen prüfen und gegebenenfalls deren Verschrottung veranlassen; auch das Überprüfen des Alters der Heizungsbesitzer könnte bald zu ihren Aufgaben gehören. Denn der Bundesregierung ist der in der Rechtsgeschichte sicherlich singuläre Einfall gekommen, eine Altersgrenze von 80 Jahren für Heizungsbesitzer gesetzlich festzulegen.
Das Dagobert-Duck-Syndrom
Über die Risiken und Nebenwirkungen des vom Wirtschaftsminister geplanten „Gebäudeenergiegesetzes“ ist hinreichend diskutiert worden. In Deutschland gibt es 43 Millionen Haushalte, von denen rund 75 Prozent mit Öl oder Gas heizen. Sie alle wären über kurz oder lang gezwungen, einen „Heizungstausch“ vorzunehmen, wie der Vorgang in Politik und Medien vornehm umschrieben wird. Treffender wäre es, von einer Enteignung zu sprechen.
Am Ende werden Immobilienbesitzer für die bloße Wärmepumpe mit Installation rund 25 000 bis 30 000 Euro zahlen müssen. Da die Wärmepumpe eine für zentraleuropäische Verhältnisse ziemlich ungeeignete Heiztechnik ist, wird bei Altbauten eine Umrüstung des gesamten Baus erforderlich sein: Fußbodenheizungen müssen eingebaut, Dach, Fenster, Keller, Fassade gedämmt werden. Die Besitzer werden ihre Immobilie ein zweites Mal bezahlen oder verkaufen müssen. In attraktiveren Lagen wird es Käufer geben, die dafür hinreichend Kapital aufbringen und sich eine sichere Rendite versprechen können.
Das Wirtschaftsministerium gibt die Kosten für die Umrüstung mit 130 Milliarden an, welche von Hauseigentümern, Vermietern und Mietern bis 2045 aufgebracht werden müssen. Andere Rechnungen gehen von 620 Milliarden aus; wieder andere von 1000 Milliarden. Das sind haltlose Zahlenspiele aus der Traumwelt Dagobert Ducks, in der es auf Fantastilliarden nicht ankommt und in der die Öffentlichkeit mit sinnlosen Phantasiebegriffen wie „Klimaneutralität“ oder gar „Klimagerechtigkeit“ abgespeist wird.
Niemand weiß, was es kosten wird. Was man aber weiß, ist, dass es unbezahlbar sein wird für die meisten von denen, die davon betroffen werden. Und wer es doch noch irgendwie geschafft hat, muss nur ein paar Jahre warten. Denn die Europäische Kommission interessiert sich wenig für die Aktivitäten des deutschen Wirtschaftsministers und verfolgt ihre eigenen Pläne. Nach ihren Vorstellungen sollen alle neu gebauten Wohngebäude bis 2030 emissionsfrei sein, und bis 2033 soll auch der Altbestand in allen EU-Ländern die „Energieeffizienzklasse D“ oder besser erreicht haben. Billig wird das nicht. Rund 60 Prozent der Wohnimmobilien müssten bis 2033 saniert werden, die Sanierungskosten für ein Einfamilienhaus dürften rund 100 000 Euro betragen. Immerhin sind diese Pläne mit der freundlichen Bitte an die Mitgliedstaaten verbunden, sie möchten dafür sorgen, dass „Zwangsräumungen aufgrund von Renovierungen“ verhindert werden, heißt es in dem Kommissionsvorschlag
Wie es aussieht, werden die neu eingebauten Wärmepumpen ohnehin bald wieder verboten. Der Wirtschaftsminister hat wieder einmal übersehen, dass die Europäische Union ihre eigenen Vorstellungen vom „Klimaschutz“ hat. Das Verbot von fluorierten Treibhausgasen, wie sie in Wärmepumpen überwiegend eingesetzt werden, ist in greifbarer Nähe. Denn inzwischen hat man festgestellt, was man schon immer wusste: Treibhausgase sind klimaschädlich. Wenn sie verboten werden, müssten sie, soweit das technisch möglich ist, durch Propangas, das ist aber feuergefährlich, oder, warum auch nicht, durch CO2 ersetzt werden.
Der Bundesgesundheitsminister hat, diesmal ganz ohne „Studie“, ausgeplaudert, dass Krankenhäuser und Pflegeheime bei einem Umrüstungszwang ihren Betrieb einstellen müssten; also forderte er eine Ausnahme für dieses nicht gerade kleine Segment öffentlicher und privater Gebäude. Überhaupt steht die Frage unbeantwortet im Raum, was es denn mit dem „Heizungstausch“ bei den Immobilien der öffentlichen Hand auf sich hat. Am Ende wird sich der Staat sicher Sonderkonditionen gönnen. Die Bundestagsverwaltung erklärte jedenfalls schon vorab, dass der deutsche Bundestag nicht auf Wärmepumpen umrüstbar sei. Solche Probleme hat der zuständige Wirtschaftsminister dagegen nicht. Die Flensburger Privatwohnung des Ministers ist vom Wärmepumpenzwang vorsorglich ausgenommen: Sie wird mit Fernwärme geheizt. Diese Fernwärme speist sich zwar zu rund 90 Prozent aus fossilen Energien, aber das kann bei Wärmepumpen auch passieren.
Denn ungewiss ist, woher die Wärmepumpen ihren Strom bekommen. Ihr Stromverbrauch wird immens sein; vor allem an kalten Tagen, wenn sie nun einmal gebraucht werden, beziehen sie ihren Strom wie jeder alte Elektroofen nicht aus Umgebungswärme, sondern aus dem Netz. Und im Stromnetz stellt nach wie vor die Kohle den größten Anteil. Der Kohleanteil an der Stromerzeugung ist übrigens im vergangenen Jahr um über acht Prozent gestiegen; gedeckt wird der Bedarf durch Kohleimporte aus den USA, Australien und Kolumbien und aus den klimapolitisch geächteten deutschen Braunkohlerevieren in Deutschland. Und eine gewisse Unstimmigkeit könnte man auch darin sehen, dass einerseits der Minister das mittelfristige Verbot von Gasheizungen in einem Parforceritt durchsetzen will, andererseits und gleichzeitig aber – und zwar aus durchaus guten Gründen – den Bau einer großen Zahl neuer Gaskraftwerke plant.
Alles in allem könnte man den Eindruck gewinnen, dass die „Wärmewende“ mit ihrem „Gebäudeenergiegesetz“ nicht so richtig durchdacht wurde.
Die Denkfabrik
In der Tat hat der Bundesklimaschutzminister in seiner jungen Amtszeit viel Pech beim Denken gehabt. Deshalb liegt es nahe, dass er sich bei seinen hochfliegenden Plänen von einer Denkfabrik beraten und begleiten lässt. Diese Denkfabrik gibt es seit 2013; sie heißt „Agora Energiewende“ und sie hat eine ganze Reihe Ableger hervorgebracht: die „Agora Verkehrswende“, die „Agora Industrie“, die „Agora Agrar“ und die „Agora Digitale Transformation“. Dieser „Agora“-Konzern liefert seit einem Jahrzehnt die Blaupausen für die Ausgestaltung energiepolitischer Traumwelten.
Wer eine Vorstellung davon bekommen will, was der Begriff „Geschwurbel“ bedeutet, wird durch die Lektüre von „Studien“ aus dem Hause „Agora“ reich belehrt. Handlungsleitend für die Klimapolitik der Bundesregierung ist eine Broschüre mit dem Titel „KNS2035“. Hinter der ehrfurchtgebietenden, solides Ingenieurwissen versprechenden Signatur verbirgt sich die ernüchternde Auflösung: „Klimaneutrales Stromsystem [bis zum Jahr] 2035.“ Das ist ein politisches Programm, keine naturwissenschaftliche Expertise.
Nach aktuellem Wissenstand hat die Bundesregierung für Expertisen dieser Art Millionen gezahlt; in der privaten Wirtschaft würde man von Untreue gem. § 266 StGB sprechen. Denn die Borschüre enthält, ebenso wie ihre Vorgänger, nichts als aus der Luft gegriffene Prognosen, unterfüttert mit haltlosen Versprechungen, die weder wirtschaftlich noch technisch einlösbar sind. Alle Probleme, ob der Lithium-Bedarf oder die Stromtrassen, die LNG-Terminals oder Dunkelflaute, werden weggewischt mit dem Verweis auf eine Wasserstofftechnologie, von der niemand weiß, wann und ob überhaupt es sie in industriell einsetzbaren Dimensionen geben wird. Gut versteckt ist hingegen das, womit man tatsächlich rechnen darf: „Die intelligente Steuerung von dezentralen Flexibilitäten ist eine tragende Säule in einem erneuerbaren Stromsystem. Ein intelligenter Verteilnetzbetrieb und ein deutlich schnellerer Smart-Meter-Rollout sind hierfür erforderlich“. Hinter dieser dadaistischen Nonsenspoesie – was ist ein „erneuerbares Stromsystem“? – verbirgt sich indes, wie so oft, eine handfeste Macht- und Umverteilungspolitik. „Neue Flexibilitätsoptionen“ bedeuten nichts anderes als die zentrale Regulierung der Stromzuteilung an private Haushalte in Strommangellagen, und der „Smart-Meter-Rollout“ läuft darauf hinaus, das Heizverhalten von Bürgern mit digitalen Geräten zu überwachen und zu regulieren.
1945 haben einige nachdenkliche Geister die Frage aufgeworfen, ob man sich nicht früher hätte überlegen sollen, wem man die Macht anvertraut. Denn schon lange vor der Machtergreifung war nachzulesen, welche Pläne die neuen Machthaber haben würden. Man hat es nur nicht glauben wollen.
Das Wirtschaftswunder
Die Wärmepumpe ist ein Produkt deutscher Ingenieurskunst. Sie wurde ursprünglich als „Kälteaggregat“ zum Einsatz in bayerischen Brauereien entwickelt, erfunden von Carl Linde an der Technischen Hochschule München in den 1870er Jahren. Im Prinzip ist die Wärmepumpe nichts anderes als ein Kühlschrank, dessen Wirkungsweise gegenläufig genutzt wird: Die der Umwelt entzogene Wärme wird nicht abgeführt, sondern zu Heizzwecken genutzt. Auf der Basis dieser Erfindung gründete Carl von Linde eine Weltfirma unter seinem Namen. Seit 2018 heißt die Firma Linde pcl, sie ist mit dem ehemaligen Konkurrenten Praxair fusioniert und hat ihren Sitz in Dublin. Diese Entwicklung steht noch einer ganzen Reihe anderer Firmen bevor. Denn zu den vielen, erwünschten wie unerwünschten, Nebenwirkungen der „Wärmewende“ gehört es, dass der Industriestandort Deutschland entkernt wird. Die Lohnkosten waren schon immer hoch, dafür gab es aber als Gegenleistung einen funktionierenden Sozialstaat. Für die steigenden Energiekosten gibt es hingegen keine greifbare Gegenleistung.
Deshalb liegt es nahe, dass Industrieunternehmen das tun, was ihnen der zuständige Wirtschaftsstaatsekretär ohnehin empfohlen hat: Wenn es ihnen in Deutschland nicht gefällt, möchten sie doch dorthin gehen, wo Strom nur ein paar Cent kostet. Die Großkonzerne der Automobil- und Chemieindustrie beherzigen diesen Rat schon länger. Nun folgt der Mittelstand. Wenn ein über hundert Jahre altes, gesundes und weltbekanntes Familienunternehmen wie der Heizungs- und Wärmepumpenhersteller Viessmann in die USA verkauft wird, ist das ein Alarmsignal sondergleichen. Damit kommt nach der Photovoltaik und der Windkraftanlagenproduktion eine weitere Schlüsseltechnologie der „Energiewende“ in ausländische Hände.
Auch andere mittelständische Unternehmen kehren Deutschland den Rücken. Bosch und Viessmann produzieren schon länger in Polen, und in diesen Tagen Anfang Mai 2023 nimmt ein weiterer deutscher Spezialist für Heiztechnologie und Wärmepumpen, die Vaillant Group, seine neue Fabrik für elektrische Wärmepumpen im slowakischen Senica in Betrieb. Der Mittelstand war einmal das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Seine Abkehr von Deutschland vermittelt eine klare Botschaft: Es ist vorbei.
Als der deutsche Bundeskanzler sich Ende März 2023 gezwungen sah, die energiepolitischen Alptraumwelten seines Vizekanzlers öffentlich zu bejubeln, verstieg er sich zu der Behauptung, Deutschland stünde am Anfang eines neuen, eines grünen Wirtschaftswunders und man dürfe mit Wachstumsraten wie in den 1950er Jahren rechnen. Der Augenschein spricht dagegen, aber in gewisser Weise hat der Kanzler doch recht. Auch beim ersten Wirtschaftswunder um 1950 lag Deutschland in Trümmern; der beispiellose wirtschaftliche Wiederaufstieg in den folgenden Jahren musste den Außenstehenden wie ein Wunder erscheinen. Tatsächlich aber war das „Wirtschaftswunder“ das Ergebnis harter Arbeit und ebenso weitsichtiger wie sachkundiger politischer Entscheidungen.
Für ein „grünes Wirtschaftswunder“ sind diese Voraussetzungen indes nicht gegeben. Statt dessen verspricht das „Gebäudeenergiegesetz“ mit seiner Neuordnung der individuellen Lebens- und Eigentumsverhältnisse ein unumkehrbarer Schritt auf dem Weg in den Klimastaat zu werden. Gut gehen wird das nicht.
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Am 30. April 2023 wurde im „Kontrafunk“-Internetradio in der Reihe „Audimax – das Kontrafunkkolleg“ der Hörfunkvortrag
Scheiterhaufen und Beutekunst. Grundlinien nationalsozialistischer Kulturpolitik
von Peter J. Brenner gesendet.
Die Sendung ist im Podcast hier gebührenfrei verfügbar.
Zusammenfassung:
In der Sicht der Nachgeborenen erscheinen die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 als ein Fanal, mit dem die Unterdrückung des freien Geistes im „Dritten Reich“ ihren Anfang nahm. Tatsächlich waren sie eher ein kurzer Machtkampf zwischen verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen. Viel weniger Aufmerksamkeit haben dagegen die Kunstpolitik und der organisierte europaweite Kunstraub der Nationalsozialisten erfahren. Deren genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass sie weit eher ins Zentrum der Machtpolitik und des historischen Selbstverständnisses des „Dritten Reiches“ führen als die Maßnahmen der Literaturlenkung.