Die Wohnungswende

Es gibt viele Methoden, sozialen Unfrieden zu stiften. Die deutsche Bundesregierung kennt und nutzt sie alle. Nachdem der Wirtschaftsminister den Gesundheitsminister in der Rolle als Kabinettsclown abgelöst hat, ist das Wohnen ins Visier der Regierung geraten. Während der eine die Bürger mit seiner Corona-Politik in ihren Wohnungen einsperren wollte, will der andere sie mit seiner Energiepolitik aus ihren Wohnungen vertreiben.
Ende 2022 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass im Vorjahr 2,4 Millionen Menschen in Deutschland ihre Wohnung aus Geldmangel nicht mehr angemessen heizen konnten. Das ist erst der Anfang. Auch wenn die Wärmepumpen-Pläne sich inzwischen zum politischen Desaster entwickelt haben, sollte sich niemand in der Illusion wiegen, dass das Wohnen in Deutschland auch in Zukunft so möglich sein wird, wie es in der Vergangenheit war. Denn niemand ist von dem Plan abgerückt, das Heizen mit fossilen Energien so teuer zu machen, dass es unerschwinglich wird, und andere als fossile Energien stehen aktuell und auf absehbare Zeit – die sich in Jahrzehnten berechnet – nicht ausreichend zur Verfügung.
Dass über kurz oder lang auch das Wohnen der Deutschen Objekt regierungs-amtlicher Überwachung werden würde, war abzusehen. Nicht abzusehen war, dass man im zuständigen Bauministerium im engsten Schulterschluss mit dem Wirtschaftsministerium auf den Gedanken kommen würde, mit einem „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ die „gebäudescharfen jährlichen Endenergieverbräuche leitungsgebundener Energieträger der letzten drei Jahre in Kilowattstunden pro Jahr“ zu erfassen. Es hat wohl noch nie einen demokratisch regierten Staat gegeben, der so tief in die elementarsten Lebensverhältnisse seiner Bürger einzugreifen versucht hat. Den Menschen vorzuschreiben, wie sie wohnen müssen, ist ein wesentliches, wenn auch wenig beachtetes Merkmal totalitärer Gesellschaften.

Der Angriff auf den Wohnungsmarkt wird zu Verwerfungen führen, die weit in die Tiefenschichten der Gesellschaft eindringen. Dabei wird es auch, aber bei weitem nicht nur um Geld gehen. Aber um Geld geht es eben auch und zwar keineswegs nur um das Geld der privaten Immobilienbesitzer und ihrer Mieter, die durch die „Wärmewende“-Politik einem schleichenden Enteignungsprozess unterworfen werden. Denn von Umschichtungen in den Wohnverhältnissen wird nicht nur der Wohnungs-, sondern auch der Kapitalmarkt betroffen; und vor allem betrifft er die Vermögensverhältnisse und die Altersvorsorge von Generationen. Die Hälfte des Privatvermögens ist in Deutschland in Immobilien angelegt und fast drei Viertel der vererbten Vermögen besteht aus Ein- und Zweifamilienhäusern. Aber der deutsche Wohnungsmarkt ist auch für ausländische Kapitalanleger interessant; seit über einem Jahrzehnt wird jährlich eine Viertelmillion Wohnungen von ausländischen Investoren gebaut.
Die undurchsichtigen Manöver der aktuellen Bundesregierung, die unter dem Deckmantel der Klimapolitik den Wohnungsmarkt umstrukturieren, bringen dieses eingespielte System in Unordnung und vor allem: Sie bieten dem, der nur dicht genug an der Quelle sitzt, zahlreiche Möglichkeiten der Bereicherung. Wie das geht, hat einer der großen Skandale der alten Bundesrepublik gezeigt. Anfang der 1980er versank der größte Wohnungsbaukonzern Europas, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehörende „Neue Heimat“, unter dem Schutzschild der Gemeinnützigkeit in einem Sumpf von Korruption, Untreue und Selbstbereicherung der führenden Funktionäre. Das Modell hat stilbildend gewirkt. Gewerkschaften spielen keine Rolle mehr in Deutschland; an ihre Stelle ist ein undurchsichtiges Geflecht von NGOs und „Denkfabriken“ getreten, die das System der Selbstbereicherung perfektioniert und internationalisiert haben. Ihr Mantra heißt nicht mehr „Gemeinwohl“, sondern „Klimaschutz“.

Der Staat und das Wohnen

Wohnraum ist ein besonderes Gut. In westlichen Gesellschaften sind Wohnräume in der Regel privates Eigentum und Teil eines Wohnungsmarktes, in dem nach privatwirtschaftlichen Regeln gehandelt wird. Aber andererseits unterliegt der Gebrauch dieses Eigentums, besonders in Deutschland, Beschränkungen wie kein anderes Wirtschaftsgut. Einerseits werden Wohnungen auf dem freien Markt gehandelt, andererseits unterliegt dieser Handel aber sehr weitreichenden staatlichen Beschränkungen des Eigentumsrechts und der Vertragsfreiheit. Es passt zur sozialstaatlichen Tradition in Deutschland, dass das Mietrecht besonders mieterfreundlich ausgestaltet ist, und dazu passt auch, dass der Staat auf dem Wohnungsmarkt selbst als Akteur auftritt – als Förderer, Eigentümer und Vermieter von Sozialwohnungen.
In der DDR stellte sich das Wohnungsproblem komplizierter dar, so kompliziert eben, wie es sich in einer sozialistischen Plan und Mangelwirtschaft entwickeln musste. Bemerkenswerterweise unterschied sich die Grundidee gar nicht so sehr von der in der Bundesrepublik. Von den naheliegenden ideologischen Komponenten einer sozialistisch eingefärbten Wohnraumpolitik wurde nur sparsam Gebrauch gemacht. 1973 verabschiedete die DDR-Regierung ein Wohnungsbauprogramm. Das erste, bis heute sichtbare Ergebnis dieser Politik hieß Berlin-Marzahn, eine Siedlung mit 35 000 Wohnungen für 100 000 Menschen. Weitere Modellsiedlungen dieser Art entstanden in Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Rostock, Schwerin. Im Jahrzehnt von 1970 bis 1980 wurden 1,6 Millionen Wohnungen fertiggestellt.
Gereicht hat es nicht, das Bauen musste immer billiger werden, die Wohnqualität wurde immer schlechter; jeder hatte Anspruch auf Wohnraum, aber der war pro Person zunächst auf 25 m2, später auf 28 m2 begrenzt. Am Ende verließ man sich darauf, dass die Leute sich ihre Eigenheime selber bauten, mit Materialien, die sie sich auf dem Schwarzmarkt besorgten – die Währungseinheit hieß „blaue Fliesen“, nach der Farbe der westdeutschen Hundertmarkscheine. Gebaut wurde auf einem Grundriss von 64 m2 nach den Plänen EW 58, die der Architekt Wilfried Stallknecht entworfen hatte.

Wohneigentum als Lebensform

Die Frage, wie Menschen wohnen, ist nicht gleichgültig, und sie lässt die Menschen auch nicht gleichgültig. Tatsächlich rührt sie an den Kern der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wer glaubt, den Raumbedarf eines Menschen mit dem Taschenrechner ermitteln zu können, verrät eine tiefe Unkenntnis dessen, was „Wohnen“ bedeutet. Man muss sich nicht mit Heidegger – der 1951 in Darmstadt seinen unverständlichen, aber eindrucksvollen Vortrag „Bauen Wohnen Denken“ hielt – in die Tiefenschichten der deutschen Philosophie begeben, um sich klar darüber zu werden, dass „Wohnen“ eine etwas andere Bedeutung hat als ein Dach über dem Kopf haben.
Die Art, wie die Menschen wohnen, ist ein Teil ihrer Kultur. Kulturformen ändern sich, und mit ihnen auch die Formen des Wohnens, und diese Änderungen vollziehen sich in der Regel nicht abrupt, sondern als langsame Umwälzungen, in denen sich wiederum gesellschaftliche Wandlungen spiegeln. Die Entscheidung zur Förderung des Wohneigentums war eine der großen gesellschaftspolitischen Weichen¬stellungen in den frühen Jahren der Bundesrepublik. Denn der Erwerb von Wohnungseigentum ist nicht nur für Erwerber selbst ein Lebensentwurf, der praktisch einer Lebensentscheidung gleichkommt, sondern er ist auch ein gesellschaftlicher Ordnungsfaktor von kaum zu überschätzender stabilisierender Wirkmächtigkeit. Konrad Adenauer soll das bekanntlich in den 1950er Jahren auf eine sentenziöse Formel gebracht haben: „Wer ein Haus baut, macht keine Revolution“. Inzwischen haben Soziologen diese Einsicht verfeinert. Hausbesitzer, heißt es, seien psychisch gesünder – solange sie die Kosten für Hypothek und Heizung tragen können –, sie seien sozial und politisch engagierter und schätzten ihre Nachbarschaft positiver ein als Mieter.
In der frühen Bundesrepublik wurde von Anfang ein großflächiges und sehr ausdifferenziertes System der Wohnraumlenkung geschaffen. Dabei wurden direkte staatliche Eingriffe weitgehend vermieden und stattdessen mit Wohneigentums¬förderung, Eigenheimzulage, Baukindergeld finanzielle Anreize gesetzt. Aber die Förderung des privaten Wohnraumbesitzes hat nicht verhindern können, dass Deutschland mit einer Eigentumsquote von 42 Prozent neben der Schweiz das europäische Land mit dem geringsten Anteil von selbst genutzten Wohnungen ist.
Hinter der Wohnungspolitik der Bundesrepublik verbarg sich ein Gesellschafts-entwurf: Als Adenauer 1953 das Wohnungsbauförderprogramm seiner Regierung vorstellte, erklärte er die Förderung von Eigenheimen zum „sozial wertvollsten und am meisten förderungswürdigen Zweck staatlicher Wohnungsbau- und Familienpolitik“. Das ist siebzig Jahre her. Heute sieht man das anders. Im Juli 2022 erklärte die Wohnungsbauministerin bei der Vorstellung eines „Aufholprogramms“ beim Wohnungsbau, ganz im Einklang mit ihrem Kollegen im Wirtschaftsministerium, dass zu viel Wohnen verwerflich sei: Sie stellte fest, „dass individuell Wohnen etwas mit dem Klima zu tun hat – weil wir natürlich sämtliche Effizienzgewinne der letzten Jahre auffressen dadurch, dass die Wohnfläche pro Person immer mehr steigt.“

Das Wohnen der neuen Deutschen

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Parteien der aktuellen Regierung sich darauf verständigt, jedes Jahr 400 000 Wohnungen – die übrigens auch nicht ausreichen würden –, zu bauen. Diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. Niemand kann sagen, wie viel Wohnungen in Deutschland künftig gebraucht werden und ejder weiß, dass es nie gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen. Die völlig irrationale Migrationspolitik, die nunmehr bereits in der dritten Legislaturperiode betrieben wird, schließt jede vernünftige Prognose aus. Eine Regierung, die Menschen aus aller Welt mit unhaltbaren Versprechen nach Deutschland lockt, wird irgendwann auf die Grenzen des Raumangebotes stoßen. Die mittel- und langfristigen Folgen dieser Art von Bevölkerungspolitik verbergen sich hinter der Formel vom „bezahlbaren Wohnraum“, die der Staat bereitstellen müsse.
Von 2011 bis 2020 hat die deutsche Wohnbevölkerung um 4,2 Millionen Menschen zugenommen; der Anteil der Zugewanderten stieg von 14 auf 21 Prozent. Der Wohnbedarf, der hier entsteht, ist ein anderer als der, mit dem man in den letzten Jahrzehnten geplant hat. Geplant hat man mit der in der Tat feststellbaren stetigen Zunahme der Ein- und Zweipersonenhaushalte; heute macht diese Wohnform rund 50 Prozent aus. Auf diesen Bedarf ist die Wohnungswirtschaft eingestellt und diesem Bedarf hat die Wohnungswirtschaft bislang entsprochen. Um 2010 konnte man von einer Vollversorgung mit adäquatem Wohnraum sprechen. Davon ist Deutschland inzwischen wieder weit entfernt. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), ein Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, hat der Bundesregierung im Februar vorgerechnet, dass im übernächsten Jahr 1,7 Millionen Menschen keine Wohnung haben werden.
Aber es geht nicht nur um die pure Zahl der Wohnungen, sondern auch um die Lebensverhältnisse, denen diesen Wohnungen einen Raum bieten müssen. Eines der wesentlichen, wenn auch wenig beachteten Merkmale der deutschen Migrationspolitik ist eine sehr großzügige Gewährung von Möglichkeiten zum Familiennachzug. Und Familie bedeutet in anderen Teilen der Welt etwas anderes als in Deutschland. Die familiären Lebensformen und die Wohnraum¬bedürfnisse der neu Hinzugekommen unterscheiden sich von denen, mit denen man bislang geplant hat. 8 Prozent der Familien ohne Migrationshintergrund haben drei oder mehr Kinder; bei Familien mit Migrationshintergrund sind es 15 Prozent; und es kann auch durchaus vorkommen, dass ein Mann mehr als eine Ehefrau hat. Wie diese neuen Deutschen darauf reagieren werden, wenn ihnen die Heizung abgestellt wird, muss sich noch erweisen.

Wohnflächengerechtigkeit: Die Zukunft des Wohnens

Ein sicherer Indikator für Ratlosigkeit ist in der deutschen Politik, wenn der Begriff der „Gerechtigkeit“ aktiviert werden muss. Der Rückgriff auf diesen fundamentalsten aller philosophischen Höchstwertbegriffe der abendländischen Kultur muss als ein Warnsignal verstanden werde, das den Beginn einer fundamentalen Fehlentwicklung ankündigt. Der Niedergang des deutschen Bildungswesens wurde mit der Diskussion über „Bildungsgerechtigkeit“ eingeleitet, die Zerstörung des Rentensystems begann mit der „Generationengerechtigkeit“, die Deindustrialisierung geschieht aktuell im Namen der „Klimagerechtigkeit“, und neuerdings ist, vorerst noch in der zweiten und dritten Reihe von „Wohnflächengerechtigkeit“, die Rede. Da auch philosophische Begriffe geduldig sind, lässt sich die „Wohnflächengerechtigkeit“ zwanglos mit der „Klimagerechtigkeit“ kombinieren, sodass ein doppeltes Gerechtigkeitsdefizit entsteht. Es kann nur dadurch behoben werden, so versichern Wissenschaftler, indem eine „antidiskriminierende Wohnraumversorgung in Deutschland“ sichergestellt wird.
Diese Wissenschaftler haben in Studien herausgefunden, dass es in Deutschland Menschen gibt, die über mehr Wohnfläche verfügen als andere. Da dem unablässigen Wohnungsbau materielle Grenzen, und zwar sehr enge Grenzen, gesetzt sind, hilft nur eins: Umverteilung. Nicht mehr das Einkommen soll die Wohnungsgröße bestimmen, sondern die Bedürftigkeit. Wer mehr Platz braucht, bekommt mehr Platz. Verteilt wird der Platz durch eine „strategische Steuerung“ und bezahlt wird er von denen, denen er weggenommen wird. Wer zu viel Platz verbraucht, zahlt eine „Wohnflächenabgabe“ oder Wohnen in zu großen Wohnungen wird gleich ganz verboten, Wohnraum kann enteignet werden. Das alles sind keine Vorschläge aus dem Nostalgie-Repertoire der untergegangenen DDR, sondern aktuelle Diskussionsvorschläge.
Diese Art von Wohnungspolitik ist ein schleichendes Gift, das die Gesellschaft zersetzt. Es wird sich zeigen, ob die Deutschen auch dieses Spiel mitmachen, bei dem sie nur verlieren können, weil die Spielregeln längst von anderen gemacht werden.

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Am 21. Mai 2023 wurde im „Kontrafunk“-Internetradio in der Reihe „Audimax – das Kontrafunkkolleg“ der Hörfunkessay

Die „Benin-Bronzen“ – Raubkunst oder Weltkultur?

von Peter J. Brenner gesendet.

Die Sendung ist im Podcast hier gebührenfrei verfügbar.

Die Diskussion um die Rückgabe der „Benin-Bronzen“ schwelt seit Jahren, weist aber einige blinde Flecken auf. Wenig beachtet wird die vorausliegende, verworrene Geschichte. Es ist die Geschichte einer kriegerischen Sklavenhändler- und Menschenopfergesellschaft, in der die Kunstwerke über Jahrhunderte hinweg entstanden sind. Es ist auch die Geschichte kolonialer Militäraktionen und des Kunsthandels; und schließlich ist es die Geschichte der Museen. Denn im Kern geht es um die Frage, ob künftig Kulturobjekte der Deutungsmacht globaler Kultureliten ausgeliefert sein werden, oder ob sie ihr Eigenrecht behaupten können.